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Seit ‚the crazy‘ wie ein Kollege die letzten Wochen bezeichnete, war ich nicht mehr beim Coiffeur. So schnell werde ich das auch nicht nachholen. Nicht, dass ich keinen Schnitt vertragen könnte, aber ich gehe einfach nicht gerne hin. Termine für alltägliche Dinge wie einen Haarschnitt abzumachen, das liegt mir nicht. Frisuren aussuchen, noch weniger. Mein Vater pflegte zu sagen, er gehe zum Friseur, damit die Haare kurz sind, nicht damit er besser aussieht. Sie können sich vorstellen: Über Architektur oder Schöngeistiges sprechen wir eher weniger.

Eigentlich hätte ich gerne wieder einen Coiffeur, so wie ich ihn als Kind kannte. Man ging hin, ganz ohne Voranmeldung. Einfach, weil man es an der Zeit fand. Dann sass man wartend mit anderen aufgereiht auf einer Bank, beobachtete Trockenhauben über Dauerwellen, las Hochglanzfachpresse und schnupperte an vorbeiziehende Spraywolken. Zuschauen, blättern, warten bis man dran war. Ein Schwatz, ein Witz quer durch den Salon, lauschen, lachen, irgendwie so. Nur, es gibt keine solchen Coiffeure mehr, die noch so arbeiten, so ohne Voranmeldung. Heute braucht es Termine! Oder man trägt wie ich bald langes Haar. Vor allem wird eine klare Vorstellung vom Haarschnitt erwartet. Lande ich wider Erwarten mit Termin und Umhang bestückt im weichen Ledersessel, dann antworte ich darauf, was es denn sein darf, mit: Sie entscheiden. Sie sind der Experte. Sie haben das Gespür, was sich mit so einem nicht unkleinen Kopf anstellen lässt, für einen Träger, der sich kaum um sein Haar kümmern mag. Schneiden Sie was Sie für gut halten.

Überrascht wurde ich selten. Negativ eigentlich nie. Einmal bekam ich einen stark asymmetrischen Schnitt, den ich über Jahre hinweg so weiter pflegte. Es war eine Frisur, die mich anfangs verwunderte, mir aber je länger, je besser gefiel. Meinen Beruf verstehe ich ähnlich. Viele Bauherrenwünsche ahne ich im Voraus. Mein Handwerk mache ich schliesslich schon lange. Ich sah und probierte schon Etliches. Vieles gelang, manches weniger. Mittlerweile masse ich mir an, recht gut sagen zu können was dem Kunden passen wird und was weniger. Einer der schönsten Aufträge war ein grösseres Mehrfamilienhaus. Der Bauherr wünschte einen Holz-Beton-Hybridbau. Melden sollte ich mich erst, wenn ich fertig sei. Das tat ich. Mit dem Resultat zufrieden, setzten er den Bau fast unverändert mit uns um. Das ist selten, ja eigentlich gibt es das gar nicht. Es ist ein Ideal. Ein derartiges Vertrauen entgegengebracht zu bekommen, dass man schon wisse was zu tun sei, entwerfen zu dürfen, was man für Kunden und Ort passend findet, das ist grossartig. Er bekam überhaupt nicht was er erwartete, aber genau das was er wollte!

Einmal sah ich bei Germany’s Next Top Model, wie junge Frauen um ihr langes Haar geradezu flehten. Dennoch wurden sie mit superkurzen, frechen Tollen versehen. Nach dem anfänglichen Schreck blühten sie geradezu auf. Ihr Selbstbewusstsein schien an ihrer Frisur zu wachsen. Vielleicht also, wenn Sie mal einen Termin bei Ihrem Coiffeur machen oder wenn sie bauen, umbauen renovieren sollten, kommen sie nicht mit einer Frisur oder genauen Vorstellung, die sie so und so geschnitten, pardon gezeichnet haben wollen. Kommen sie mit der Frage und dem Vertrauen, ob ihr Friseur oder Architekt ihnen etwas machen kann, wovon sie nicht einmal wussten, dass es zu ihnen passen wird. Wie heisst es so schön: „Outside of your comfort zone is where magic happens“.

 

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen der Architektur möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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