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Nachhaltigkeit, sustainability, ist in aller Munde und das seit Jahrzehnten. Es impliziert derart zu leben, dass die Welt uns Menschen dauerhaft aushalten, wörtlich ‚sustainen‘ kann, ohne daran Schaden zu nehmen. So sollten wir die Welt schonen, mit ihr kooperieren, statt sie zu dominieren. Klar wie Klosbrühe. Eigentlich. 

Heute las ich vom 1991 gescheiterten Biosphären Projekt in Arizona. Die Forschenden – oder sollten wir besser von Testpersonen sprechen? – versuchten die Wechselwirkungen eines geschlossenen Ökosystems zu ergründen. Nach zwei Jahren im Riesenterrarium waren von 25 Wirbeltierarten 19 ausgestorben. Insekten gab es gar keine mehr, ausgenommen zahlloser Kakerlaken. Der quälende Sauerstoffmangel, überdies verantwortlich für die Veralgung der Korallenriffe, musste letztlich mittels Frischluftzufuhr behoben werden. Notabene von aussen. Von wegen geschlossenes System. Wir sind schlicht nicht fähig solch vielschichtig verflochtene Zusammenhänge in ihrer Gänze zu begreifen, auf globalem Niveau schon gar nicht. Seltsamerweise finde ich das sogar tröstlich.

Viele meiner Zeitgenossinnen möchten daran glauben diesem komplexen, abstraktem ‚Nachhaltigen‘ mit regenerativen Energien begegnen zu können. Mit ‚Erneuerbaren‘, meinen sie letzten Endes unerschöpfliche Energien, im Grunde kostenfreie. Doch mit gratis Energie werden wir einfach weiter machen wie bisher, nur mit besserem Gewissen. Verbessern wird sich nichts. Es wird sogar noch ärger werden, denn unser Denken zielt weiterhin auf Wachstum und Konsumismus. Für eine Vermeidungsgesellschaft fehlt uns schlicht die Vorstellung. Statt uns also blind mit grüngewaschenen Regel- und Hinweislisten auszustatten, fände ich Anregungen für einen ganz grundlegenden Perspektivenwechsel mindestens so notwendig - und vermutlich nachhaltiger. 

Derzeit mühe ich mich daher am Philosophen Bruno Latour ab. Ein harter Knochen. Soweit ich ihn zu verstehen glaube, löst er die Trennung von Mensch und Natur auf. Er setzt beides gleich und nennt das ganze ‚Gaia‘. Seine Sichtweise unterscheidet nicht mehr zwischen Mensch und Natur. Das berührt mich. 

Bei einem Mehrfamilienhaus in Valendas verfolgte der von mir sehr geschätzte Architekt Gion Caminada ähnliche Gedanken. Statt auf Technik zu setzen, glich er Innen und Aussen an. Die 7 Wohnungen im ‚Burggarta‘ bestehen aus ungeheizten (sic!), bestenfalls temperierten Raumschichten, die um einen massigen Küchenblock mit Specksteinofen gewunden sind. Im Winter wärmt der Kern aus der Mitte des Hauses, sommers bietet er schattigkühlen Rückzugsraum. Die darum gelegten Schichten sind Stube, Schlafzimmer, Loggien, Lauben, Abstellräume, ein Innenhof, Ateliers und Garagen. Der Gebrauch der Räume wird unbestimmter je weiter die Räume vom Kern entfernt liegen. Eine Laube wird dann schon mal zum Essplatz oder Werkraum. Die Trennung von Innen und Aussen, warm und kalt gestaltet Caminada unscharf. Die Bewohnenden wandeln im Haus mit dem Wechsel der Tages- und Jahreszeiten. „Was für eine Zumutung“ höre ich Sie klagen. ‚Ein ungeheiztes Schlafzimmer? ‘ Doch die Bewohnenden präsentierten ihre gewonnenen Freiheiten voller Schwärmerei. Gefroren hat scheinbar niemand.

Wussten Sie, dass je mehr Komfortbedürfnisse bereits erfüllt sind, desto höhere Bedürfnisse danach entwickelt werden? Bereits erfüllte Bedürfnisse werden als selbstverständlich angesehen und daher nicht mehr wahrgenommen. Ein Projekt wie der ‚Burggarta‘ offenbart: Wenn wir uns mehr ‚zumuten‘ würden, müssten wir weniger das Klima, also uns Menschen schützen, sondern die Welt würde uns Menschen besser aushalten.

 

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen, nicht nur der Architektur, möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen. Hier kamen die Idee vor allem aus Gesprächen mit Gion Caminada, die mich inspirierten. Danke dafür.

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