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Neuerdings suchen wir beim Einkauf das Gemüse nicht mehr aus, sondern nehmen am Markt eine Kiste Grünzeug entgegen. Den Inhalt bestimmen Bauer oder Bäuerin. Gekocht wird nicht wonach uns plangt, sondern was es gibt. ‘Hunger ist der beste Koch‘, höre ich meine Grossmutter sagen, kommentierte sie lapidar mein kindliches Naserümpfen ob des Gemüses. Brachte ich etwas nicht hinunter, hatte ich ihre Ansicht nach schlicht zu wenig Hunger. Unser neues ‘Katze in der Kiste‘ Ding ist ein Anachronismus, kämpfte und krampfte doch die ‘Älterengeneration’ so inständig darum, die ärmliche Auswahl zu einer verführerischeren Fülle auszubauen und nun beschränkt sich meine Familie mit etwa 20 Anderen selbst. «Selber schuld», höre ich Sie sagen. Schon. Ja.

Mit dem Gemüseabo wissen wir nicht mehr im Voraus was zu kochen ist. Den Entscheid delegieren wir an die Felder, die Jahreszeit, das Klima, den Landwirtschaftsbetrieb. Im Winter wird sich das recht farb- und geschmacklos ausnehmen, richtig fad’, doch ich freue mich auf neue Rezepte – noch. Zwar kauften wir schon bei der ersten Kiste ein paar Auberginen und Anderes dazu, aber ich bin halt auch nur ein Mensch – und widersprüchlich.

Beim Kochen kommt es wie in der Architektur auf die Zutaten an. Man fügt und mixt, entscheidet wieviel von was und in welcher Reihenfolge es zusammenpasst. Manche Geschmäcker und Konsistenzen harmonieren, manches wird ungeniessbar. Wasser und Stein wirken beispielsweise magisch wie heisse Himmbeeren und Vanillglacé. 

Anfangs wusste ich kaum etwas mit dem hiesigen Gewächs anzufangen. Ist es überhaupt schmackhaft? Immerhin, es wächst hier, allein deswegen ist es verzehrenswert, zumindest erwägenswert. In Andermatt erlebte ich eine emotionale Auseinandersetzung welche Sorte Stein für die Strassen zu verwenden sei. Der indische, der chinesische oder ein ganz anderer? Welcher ist der Schönste, wurde ich gefragt. Meine Antwort klang weise wie Oma: ‘Der hiesige Granit, von hier oben’. Blöde Frage!

Lesen, ach was, inhalieren sie den Roman ‘Les pierres sauvages‘, übersetzt mit ‘Die singenden Steine’ des Architekten Fernand Pouillon. Er schrieb im Gefängnis über eine Gruppe Zisterzienser, die in der waldreichen Landschaft der Provence ein Kloster errichtete. Berührend fand ich welchen Widerstand der vorgefundene Stein den Brüdern bot, wie sie schier daran verzweifelten. Er war spröde, kaum glatt zu bekommen und nicht hart genug für grosse Lasten. Vermeintlich bessere Steine karrte man dennoch nicht heran. Die Mühe lohnte. ‘La Thoronet’ wurde zur weit strahlenden Blaupause unzähliger Klöster und unerreichtes Vorbild bis in die Neuzeit.

Zuletzt: Falls sie einmal auf den Tessiner Monte Tamaro kommen, finden sie dort oben einen grandiosen, besuchenswerten Wurf von Mario Botta. Ein versteinerter Weitsprung, der als Aussichtskanzel über einer Kapelle landet – und doch, der Bau entwickelt kaum nachhaltige Kraft. Sie werden es spüren. Ich sage: Es liegt am herangekarrten Stein.

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Einer der Essays, die in der Südostschweiz erschienen. Jeder mit dem Anspruch grosse Themen, nicht nur der Architektur, möglichst einfach und in wenigen Zeilen zugänglich zu machen.

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